Interview mit Frau Corinna Klaus-Rosenthal, Ansprechpartnerin Häusliche Gewalt/Prävention der Polizei Göttingen

Frau Klaus-Rosenthal, wie viele Fälle häuslicher Gewalt weist die Statistik der Polizeiinspektion Göttingen aus?
Corinna Klaus-Rosenthal: Im Jahr 2022 waren es im Bereich der Polizeiinspektion Göttingen 1232 Fälle. Davon waren 1044 so genannte Opferdelikte, also Gewalt gegen Personen, wie schwere Körperverletzung, aber auch Isolierung oder sexuelle Übergriffe. Bei den anderen Fällen von häuslicher Gewalt handelte es sich um Sachbeschädigungen, zu denen auch die Misshandlung von Tieren zählt.
Wie häufig waren dabei Männer, Frauen und Kinder von Gewalt betroffen?
Corinna Klaus-Rosenthal: Im vergangenen Jahr waren es 740 Frauen und 304 Männer, wobei in einigen Fällen auch beide betroffen waren, also Mann und Frau einander verletzten, sowie 67 Kinder und 40 Jugendliche. Als Jugendliche zählen die 14- bis 17-Jährigen.
In welche Richtung zeigt der Trend: Werden mehr oder weniger Fälle aktenkundig?
Corinna Klaus-Rosenthal: Die Tendenz ist steigend. 2021 verzeichnet die Statistik 633 Frauen, 280 Männer sowie 53 Kinder und 33 Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Ob das daher kommt, dass es mehr Fälle von häuslicher Gewalt gab oder ob nur mehr Fälle als früher angezeigt wurden, lässt sich nicht sagen. Also: Mehr angezeigte Fälle kann bedeuten, dass die Dunkelziffer kleiner wird, oder aber, dass es insgesamt mehr Delikte gab und die Dunkelziffer damit auch wächst. Betrachtet man die Statistik aus dem ersten Halbjahr 2023, kann man bereits absehen, dass die Zahl der angezeigten Fälle weiter steigt.
Muss man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen?
Corinna Klaus-Rosenthal: Die Dunkelziffer ist schwer zu einzuschätzen. Die Hemmschwelle, sich zu melden, ist groß. Die Betroffenen empfinden Scham, die Situation ist ihnen peinlich. Viele Frauen wagen den Schritt nicht, weil sie gar keine Perspektive sehen, wie es ohne Mann weitergehen kann. Vor einer Anzeige gegen den eigenen Lebenspartner oder die Lebenspartnerin scheuen viele zurück.
Ist immer gleich eine Strafanzeige nötig?
Corinna Klaus-Rosenthal: Nein, das hängt von der Situation ab. In akuten und Hochrisiko-Fällen greift die Polizei natürlich direkt ein. Der Täter wird der Wohnung verwiesen, muss den Schlüssel abgeben und sich fernhalten. Das wird auch kontrolliert. Manchmal geht es eben nur mit staatlicher Hilfe. Auf jeden Fall wird erstmal Beratung angeboten. Die gibt es für Opfer und Täter. Bei Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes haben wir im Gebiet der Polizeiinspektion Göttingen das Netzwerk Häusliche Gewalt gebildet mit Arbeitskreisen in Göttingen, Hann. Münden, Osterode und Duderstadt. In allen Kommissariaten von Hann. Münden bis Bad Lauterberg gibt es unsere Multiplikator*innen für das Thema, die intern schulen und sensibilisieren und für Hilfesuchende die erste Anlaufstelle sind. Wir arbeiten zusammen mit dem Frauennotruf, dem Frauenhaus, der Opferhilfe, dem Kinderschutzbund, dem Weißen Ring, dem Verein phoenix und dem Verein Wege ohne Gewalt (WoGe). So tauschen wir uns untereinander aus, um schnell reagieren zu können.
Wo und wie findet man die richtigen Anlaufstellen?
Corinna Klaus-Rosenthal: Wir, das Präventionsteam der Polizei, sind im Internet gut zu finden und vermitteln dann gern an die richtige Beratungsstelle weiter. Um auch Frauen zu erreichen, die kein Deutsch sprechen oder die hier keine Netzwerke haben, gehen wir zum Beispiel auch mit mehrsprachigen Plakaten oder Flyern in Arztpraxen in die Öffentlichkeit.
Wie verhält man sich als Außenstehende richtig, wenn man in der Nachbarschaft häusliche Gewalt vermutet?
Corinna Klaus-Rosenthal: Das kommt darauf an, wie gut man die Personen kennt. Wer beobachtet, wie sich eine gute Freundin verändert, sich vielleicht abkapselt, der sollte das direkte Gespräch suchen und sich dafür auch Zeit nehmen. Ob eine Beziehung toxisch ist oder es sich um eine vorübergehende Krise handelt, ist oft schwer einzuschätzen. Hat man keine persönliche Beziehung: 110 anrufen. Sollte es dann doch nur der laute Fernseher gewesen sein, ist das nicht schlimm. Lieber einmal mehr anrufen als einmal zu wenig.

Informationen zu Hilfe bei häuslicher Gewalt in sieben verschiedenen Sprachen auf der Webseite der Polizeiinspektion Göttingen unter: Häusliche Gewalt, Polizeidirektion Göttingen

 


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